Offener Brief von Heilpraktiker Thomas Bezler an GesundheitspolitikerInnen aus Baden-Württemberg zum Thema „GRUNDSÄTZLICHES zum Gesundheitswesen, zur Naturheilkunde und zum HEILPRAKTIKER-Beruf“
Liebe MdL Jutta Niemann (Fraktion Grüne),
lieber MdL Klaus Burger (CDU),
lieber MdL Jochen Haußmann (FDP/DVD) und
lieber MdL Rainer Hinderer (SPD),
vielen Dank, dass Sie wiederholt am Politik-Café der Union Deutscher Heilpraktiker Baden-Württemberg teilnehmen, zuletzt am Samstag, 15.09.2018 in Fellbach.
Heute komme ich endlich dazu, Sie anzuschreiben, was ich bereits letztes Jahr nach dem Politik-Café schon wollte. Ich möchte erwähnen, dass mich seit mehreren Jahren KollegInnen darum bitten, mich beim Politik-Café zu Wort zu melden, jedoch empfinde ich die Voraussetzungen für das, was ich Ihnen mitteilen möchte, als nicht gegeben, u.a. deshalb, weil es mir doch um etwas Grundsätzliches in meinen Ausführungen geht und dies den Rahmen der Veranstaltung sprengen würde.
Kurz zu meiner Person: Ich bin gelernter Kfz-Mechaniker, über den zweiten Bildungsweg habe ich die mittlere Reife und die Hochschulreife erworben, bin Dipl. Gewerbelehrer (Maschinenbau, Sportwissenschaft, Pädagogik) und schließlich seit 17 Jahren Heilpraktiker in Vollzeit in eigener Praxis für naturheilkundliche und ursächliche Heilmethoden.
Zudem bin ich Mitglied des Kreistages im Rems-Murr-Kreis und somit mit vielen Problemen der kreiseigenen Kliniken vertraut. D.h. ich kenne „beide“ Seiten: Die Praxis der HeilpraktikerInnen und die Praxis in Kliniken, aber auch in Arztpraxen.
Vielleicht können Sie mir zustimmen, dass wir folgendes benötigen:
- Fürsorge des Staates zum Schutz der Mitmenschen,
- eine Notfall- und Akutmedizin, wie wir diese auf hohem Niveau in Deutschland bereits größtenteils besitzen,
- Therapiefreiheit (sowohl bei der Auswahl der BehandlerInnen durch die Patienten, als auch bei der Auswahl der Therapien durch die BehandlerInnen).
Wenn ja, dann möchte ich Sie bitten weiter zu lesen.
Haben Sie sich einmal gefragt, warum in Deutschland
- eine Unzahl von Zertifizierungen in fast jeder medizinischen Abteilung benötigt wird und somit Krankenhaus-MitarbeiterInnen nicht mehr überwiegend ihrer eigentlichen Aufgabe (z.B. Pflege) nachkommen können, sondern zur Zertifizierung und Aufrechterhaltung der Zertifikate immensen bürokraktischen Aufgaben nachkommen müssen?
- zertifizierte Abteilungen mehr Geld für die gleiche Behandlung erhalten und so die Kliniken mehr oder weniger finanziell gezwungen werden, sich zertifizieren zu lassen, um sich anschließend strikt nach diesen Zertifikationsvorgaben zu richten, wobei eine individuelle Therapie vieler Patienten nicht mehr berücksichtigt werden kann?
- medizinisches Ärztepersonal eingestellt wird, das ausschließlich mit Abrechnungsaufgaben zum Wohl der Klinikfinanzen beschäftigt ist, anstatt sich dem Wohl der Patienten zu widmen?
- deutlich mehr operiert wird als in anderen Ländern?
- Klinikärzte nach Umsätzen (Auslastung der Abteilung, Operationen u.a.) zusätzlich honoriert werden und welchen Anreiz und welche Folgen dies verursacht? (Meine Überzeugung: wenn Zusatzhonorare, dann bitte nach Heil-Erfolg, nach erfolgreicher Verhinderung von Operationen oder anderen schmerzhaften und kostspieligen Diagnose- und Behandlungsmethoden inklusive Folgekosten.)
- immer mehr Menschen einer schulmedizinischen Behandlung kritisch gegenüber stehen und teilweise sogar kategorisch ablehnen?
- u.v.a.
Es ist für mich vollkommen nachvollziehbar, dass der Trend von Regulierung und Zertifizierung in der Schulmedizin eine schlechte Stimmung bei allen Beteiligten erzeugt und vonseiten der Schulmedizin oftmals mit Neid auf die Heilpraktiker geschaut wird, die in der Tat eher noch einen freien Beruf ausüben können als bspw. Kassenärzte, Klinikärzte oder „Hilfsbehandler“, die sich an ärztliche Vorgaben halten müssen.
Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?
Meine Lösungsansätze beziehen sich vor allem auf unser Bildungssystem, denn Reglementierungen und Zertifizierungen werden erst dann tatsächlich notwendig, wenn Menschen nicht achtungsvoll und fair miteinander umgehen. Nach wie vor beziehen sich die Werte an staatlichen Schulen primär auf gute Noten in den „Hauptfächern“ Mathematik, Deutsch u.a. Als dreist empfand ich es, als uns Eltern und unseren Kindern auf dem Gymnasium suggeriert wurde, dass sie die Elite darstellen, da sie ja später Führungskräfte werden. Als Vater dreier Kinder (zwei davon mittlerweile erwachsen) und als Ganzheitstherapeut mit 17 Berufsjahren habe ich erfahren, woran viele Kinder in den Schulen leiden und in ihrer persönlichen Entwicklung blockiert werden. „Kinder sind Genies – bis sie in die Schule kommen.“ Das ist ein Satz, welchen schon viele anerkannte Psychologen und Hirnforscher verwendet haben!
Auf die Medizin bezogen: Ein Behandler, der sich dem Wohl der Patienten verpflichtet sieht, bildet sich fort und wird im Rahmen seiner Möglichkeiten (und Grenzen) agieren. Hierzu bedarf es jedoch einer freien Ausübung der Heiltätigkeit und der freien Wahl von Therapien und therapeutischen Fortbildungen, wobei wir bei Ihnen, liebe GesundheitspolitikerInnen, angelangt sind: Die Tatsache, dass vonseiten der Ärzteverbände eine Zusammenarbeit von Ärzten/Ärztinnen und HeilpraktikerInnen in der gleichen Praxis untersagt wird oder auch Zertifikate die freie Ausübung immer mehr einschränken, zeigt, dass hier politischer Handlungsbedarf besteht.
Selbstverantwortung, Ethik, Persönlichkeitsentwicklung und soziale Kompetenz fördern!
Es zeigt sich derzeit in allen Bereichen des Lebens, wie lange zuvor nicht, dass der Glaube an das stetige Wirtschaftswachstum als Heilsbringer sich als falsch erweist.
Auf die Medizin bezogen: In den Praxen und Kliniken geben sich beide die Klinke in die Hand: Die Besser- oder gar Superverdiener, die sich überarbeitet fühlen und den Sinn ihres beruflichen Tuns fast nicht mehr erkennen können und diejenigen, die durch das Erfolgsraster fallen, da sie zu denen gehören, die körperlich und geistig gehandicapt sind und zudem sich in keiner Form mit medientauglichen „Mustermenschen“ (Sportler, Musiker, Top-Models u.a.) messen können. Die derzeitige Idolisierung durch die Medien erzeugt überwiegend Verlierer. Meine Überzeugung ist, dass es Aufgabe unseres Bildungssystems sein sollte, die Potentiale eines jeden Menschen sich entwickeln zu lassen und die Persönlichkeitsentwicklung zu fördern. Das bisherige Benotungssystem („Bewertungssystem“) ist hierfür völlig ungeeignet, die Ausbildung der Lehrkräfte ebenso.
Ich befürchte, dass ohne eine baldige Änderung der vermittelten Werte es zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und zu noch mehr Parallelgesellschaften kommt.
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen und auch ich den Eindruck haben, dass Sie nicht wirklich unsere Anliegen verstanden haben, zumindest lassen Ihre Statements und Antworten nichts anderes zu. Ich denke, eines haben Sie jedoch erfahren: Wir ticken in manchen Dingen anders und erzielen damit nachweislich Heilerfolge, die mit der schulmedizinischen Wissenschaft nicht erklärbar sind. Zum Erfolg gehört jedoch nicht nur die Anwendung von Techniken, sondern auch Qualitäten des Behandlers, die insbesondere auf der zwischenmenschlichen Ebene ablaufen: (bedingungslose) Liebe, Toleranz, Achtung, Mitgefühl, Freundschaft u.a. Und diese Qualitäten haben prinzipiell nichts mit einem üblichen Schulabschluß oder gar einem akademischen Grad zu tun. Es besteht durchaus die Gefahr, dass mit jeder höheren Bildungsstufe (Spezialisierung) die Scheuklappen sich immer mehr verengen. Es ist selbstverständlich, dass eine solche Zuwendung Zeit in Anspruch nimmt und nicht wie am Fließband erfolgen kann, weshalb ich mir für unsere medizinischen Kollegen (insbesondere Kassenärzte) wünsche, dass diese entsprechend honoriert werden.
Wie Sie auch erfahren haben, kommen viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Schulmedizin oder haben einen anderen naturwissenschaftlichen Beruf ausgeübt, manche davon haben einen oder mehrere Doktortitel. In der Regel sind es persönliche oder familiäre gesundheitliche Probleme, die dazu führten, sich über die schulmedizinischen Möglichkeiten hinaus mit natürlichen Heilmethoden zu beschäftigen, die letztlich den erwünschten Erfolg erbrachten. Es geht den meisten HeilpraktikerInnen darum, den Mensch als Ganzes zu behandeln und so die Selbstheilung wieder zu aktivieren, was bei kleineren und insbesondere bei schwereren Krankheiten unabdingbare Voraussetzung einer echten Heilbehandlung darstellt. Dagegen sollte jede Behandlung, die kurz- oder langfristig die Selbstheilung schädigt, nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Am Beispiel Antibiotika (-resistenz) muss festgestellt werden, dass es sich bei der Verordnung meist um eine „Verzweiflungstat“ handelt. Meine drei Kinder sind nicht die einzigen, die ohne Antibiotika groß und erwachsen werden konnten, meine Frau und ich durchbrachen die Antibiotikaeinnahmen vor nunmehr rund 25 Jahren. Meine Berufserfahrung zeigt, dass dies auch bei fast allen anderen Menschen möglich ist und mit einem Zuwachs an Gesundheit verbunden ist.
Bezüglich der Fürsorge des Staates ging mir während des Politik-Cafés noch etwas durch den Kopf, und da zumindest einige von Ihnen offensichtlich Parteien mit christlichen Werten vertreten, möchte ich es erwähnen: Was wäre, wenn Sie den gleichen Maßstab der „Wissenschaftlichkeit“ an vom Staat unterstützten Religionen anlegen würden? Schließlich vermittelt jede Religionsrichtung, dass sie die Wahrheit kund tut, Gottes Regeln befolgt und dem Menschen bei Einhaltung der Regeln oder Gebote schließlich Heil erfahren lässt … Natürlich ist dies ein anderer Bereich, zumal wir in unserem Staat die Glaubensfreiheit besitzen. Jedoch zeigen die Erfahrungen von Therapeuten, dass in manchen Glaubensgemeinschaften gehäuft gleiche Krankheitsbilder auftreten, die auf belastende Glaubensinhalte zurückzuführen sind. Auch in diesem Bereich erhoffe ich mir durch eine grundlegende Bildungsreform, deren Inhalte ich oben in Teilen erwähnt habe, den erwünschten Erfolg. Das Ziel: So wenig Staat wie möglich!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe sehr, dass Sie sich noch umfassender mit Heilkunde und der Arbeit von Heil-PraktikerInnen auseinandersetzen und in engem Kontakt mit unseren Verbandsvertretern bleiben.
Sollten Sie vom Nutzen des Heilpraktikerberufes überzeugt sein, so setzen Sie sich bitte mit Engagement für den Erhalt einer freien Ausübung ein. Informieren Sie Ihre – nach meiner Erfahrung – teilweise völlig unwissenden ParteikollegInnen und empfehlen Sie ihnen, sich ebenso mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Bis zum nächsten Politik-Café im Jahr 2019 wünsche ich Ihnen beste Gesundheit!
Liebe Grüße
Thomas Bezler, Heilpraktiker und Kreisrat
September 2018
Antworten in der Reihenfolge des Eingangs
Jochen Haußmann, MdL, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP/DVP-Landragsfraktion BW, Sprecher für Verkehrspolitik, Gesundheitspolitik, Frauenpolitik, 01.10.2018:
Lieber Thomas,
vielen Dank für deine Nachricht.
Nachdem ich bereits seit einigen Jahren in engem Austausch mit den Heilpraktiker-Verbänden bin, bemühe ich mich regelmäßig, die Anliegen der Heilpraktiker aufzugreifen. Daraus resultierten diverse Landtagsanträge, eine Anhörung, eine unterstützende Formulierung im Landtagswahlprogramm 2016 und aufgrund durchaus kontroversen Positionen auf Bundesebene einen Verzicht auf einschränkende Formulierungen. Die zuständige Abgeordnete have ich bereits gebeten, Termine mit den HO-Verbänden wahrzunehmen.
Auch in Gesprächen mit der Landesärztekammer Baden-Württemberg bin ich bezüglich Heilpraktiker in einem guten Dialog.
Einer Anpassung des Heilpraktikergesetzes hinsichtlich Ausbildung und Qualitätsstandards verschließen sich auch die HP-Verbände nicht. Wichtig ist es, dies gemeinsam mit den Verbänden anzugehen – darauf habe ich allerdings bei der Bundesregierung keinen Einfluss.
Viele Grüße
Jochen
Rainer Hinderer, MdL, SPD, Sprecher für Gesundheits- und Suchtpolitik, Vorsitzender des Ausschusses für Soziales und Integration im Landtag, 02.10.2018:
Sehr geehrter Herr Bezler,
vielen Dank für Ihr Schreiben, auf das ich Ihnen im Folgenden gerne antworte.
Zunächst einmal bin auch ich der Meinung, dass die Fürsorge des Staates zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, eine qualitativ gute Notfall- und Akutmedizin sowie die Möglichkeit der freien Therapiewahl durch die Patientinnen und Patienten wichtige Punkte für eine gute medizinische Versorgung sind. Diese Ziele sind auch im aktuellen Koalitionsvertrag im Bund zu finden, in Bezug auf die Gesundheitsberufe heißt es beispielsweise „Stärken unseres Gesundheitswesens sind die Freiberuflichkeit der Heilberufe, freie Arzt- und Krankenhauswahl, die Therapiefreiheit und gut qualifizierte Gesundheitsberufe.“ Die SPD setzt sich dabei dafür ein, dass alle Menschen Zugang zu einer optimalen medizinischen Versorgung haben können, unabhängig von Faktoren wie Einkommen, Wohnort, Alter oder Sonstigem.
Im internationalen Vergleich liegt Deutschland in Bezug auf die Gesundheitsversorgung nicht auf den ersten Plätzen, es ist also noch Luft nach oben vorhanden, da stimme ich Ihnen zu. Einige der von Ihnen genannten Punkte beschäftigen daher auch die Politik schon länger – so ist beispielsweise die hohe Zahl an Operationen in Deutschland und die Frage, wie medizinische Leistungen sinnvoll vergütet werden sollten, damit keine falschen Anreize gesetzt werden, immer wieder diskutiert worden. Durch gesetzliche Änderungen und die Anpassung von Vorgaben wird hier immer wieder regulierend eingegriffen, um Patientinnen und Patienten vor falschen Behandlungen zu schützen. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag im Bund ist beispielsweise festgehalten, dass Mittel für die Beförderung der Qualität der stationären Versorgung eingesetzt werden sollen. Institutionen wie beispielsweise der Gemeinsame Bundesausschuss beschäftigen sich fortlaufend mit Maßnahmen der Qualitätssicherung für den ambulanten und stationären Bereich des Gesundheitswesens.
Für die Sicherstellung einer qualitativ guten Versorgung sind meiner Meinung nach Zertifizierungen und Nachweise über Qualifizierungen notwendig. Nur so können Patienten sicher sein, dass angebotene Leistungen und Behandlungen von ausreichend qualifiziertem Personal durchgeführt werden – aus meiner Sicht kann nur so eine wirklich freie Entscheidung über die Behandlungsart erfolgen und dabei die Sicherheit der Patientinnen und Patienten gewährleistet werden.
Nach meinem Wissen entscheiden sich heute immer mehr Patientinnen und Patienten für eine Komplementärmedizinische Behandlung als Ergänzung zur Schulmedizin. Bei der im April 2018 durchgeführten öffentlichen Landtagsanhörung im Ausschuss für Soziales und Integration mit dem Titel „Komplementärmedizin und Naturheilverfahren als Gesundheits- und Wirtschaftsfaktor – Kernkompetenz in Baden-Württemberg“ war für mich eines der wichtigsten Ergebnisse, dass „Schulmedizin“ und „Komplementärmedizin“ heutzutage nicht mehr als Gegensätze, sondern als wichtige, sich zum Teil ergänzende Säulen der gesundheitlichen Versorgung betrachtet werden können.
Dieses ist aus meiner Sicht eine gute Basis für weiteres Handeln und Gespräche mit Akteuren der medizinischen Versorgung und Verbänden wie z.B. dem Fachverband Deutscher Heilpraktiker oder der Union Deutscher Heilpraktiker.
Dabei stehe ich einem offenen Dialog auch in Zukunft positiv gegenüber.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Hinderer MdL
Jutta Niemann, MdL, Fraktion Grüne im Landtag BW, Energiepolitische Sprecherin , 09.10.2018:
Lieber Herr Bezler,
vielen Dank für Ihren Offenen Brief im Nachgang zu den Süddeutschen Tagen der Naturheilkunde.
Wir sind uns einig darin, dass eine gute Notfall- und Akutmedizin und Therapiefreiheit notwendig ist für eine gute medizinische Versorgung – und dass in Deutschland, wie Sie ja auch anmerken, eine medizinische Versorgung auf sehr hohem Niveau vorhanden ist. Ich stimme Ihnen auch grundsätzlich zu, was etwa den sparsamen und nur auf notwendige Fälle beschränkten Einsatz von Antibiotika angeht.
Dass viele Ihrer Kolleg*innen den Eindruck haben, dass ich und meine Abgeordnetenkollegen Ihre Anliegen nicht richtig verstanden haben, kommt auch bei mir in Gesprächen immer wieder an – mein Eindruck ist aber auch, dass das zumindest in Bezug auf mich und meine Grünen Kolleg*innen auf einem Missverständnis beruht. Für uns Grüne und für mich persönlich ist eine integrierte Versorgung aus Schul- und Komplementärmedizin wichtig und erstrebenswert. Dass naturheilkundliche Verfahren und Komplementärmedizin vielen Menschen helfen können und von vielen Patient*innen nachgefragt werden, ist eine Tatsache. Mehr Zeit und Möglichkeiten, sich direkt und intensiv den Patient*innen zuwenden zu können, ist etwas, was sich auch viele Ärzt*innen und Pflegekräfte wünschen, aber leider wegen Personalmangels, wachsender Bürokratie und zu schlechter finanzieller Ausstattung und Vergütung für diese wesentlichen Aspekte des Heilens im gegenwärtigen System nicht so leisten können, wie sie es gern würden. Deshalb setzen wir Grünen uns für Änderungen im Gesundheitssystem, etwa in der Vergütung und der Personalbemessung, ein.
Um den Zugang zu komplementärmedizinischen Methoden für viele Menschen zugänglich zu machen, haben wir im Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbart, dass alternative Heilmethoden langfristig fester Bestandteil der Normalversorgung werden und von gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen werden sollen. Denn viele Menschen wünschen sich die Anerkennung und Erstattung der Komplementärmedizin in der Regelversorgung, und eine breitere Übernahme von komplementärmedizinischen Verfahren durch die Krankenkassen würde diese Verfahren für mehr Menschen zugänglich machen. Das betrifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen sowie mit chronischen Erkrankungen, die ihre Behandlung komplementärmedizinisch unterstützen und ihr Befinden damit spürbar verbessern. Ich weiß, dass dieses Ziel bei vielen Ihrer Kolleg*innen auch Sorgen auslöst, weil sie um den erfahrungsbasierten Ansatz Ihrer Heilkunde fürchten und die Sorge haben, dass erfahrungsbasierte Anwendungen bei einer Aufnahme in die Normalversorgung verloren gehen könnten. Deshalb besteht zu diesem Thema noch viel Gesprächsbedarf, und es ist gut, dass Sie und die Verbändevertreter*innen sich hier zu Wort melden und in den Austausch gehen. Mit den Vertreter*innen der Heilpraktikerverbände in Baden-Württemberg bin ich hier auch in einem guten Austausch. Mir ist wichtig, im Dialog zu klären, wie die Integration in die Regelversorgung gelingen kann und dabei Kernanliegen der Komplementärmedizin erhalten werden können, etwa bei der Frage, wie auch erfahrungsbasierte Anwendungen bei einer Aufnahme in die Normalversorgung berücksichtigt werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Niemann